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Dr. Harald Bodenschatz

A Dissonant Heritage – wie ganz Berlin

Von 4. September 2023September 5th, 2023Keine Kommentare
©Maurice Weiss/Ostkreuz

Der Flughafen Tempelhof, sein riesiges, die Form des Flughafens bestimmendes Gebäude, das Flughafenfeld selbst und die Übergangsbereiche zwischen Flughafen und Stadt verkörpern zusammen eine der wichtigsten und einprägsamsten städtebaulichen Anlagen von Berlin. Diese Stadtlandschaft erhielt ihre bis heute prägende Form in der Zeit des Nationalsozialismus, ihre internationale Bedeutung entstand aber vor allem in drei Phasen, in der Geburts- und Aufstiegsphase während der Weimarer Republik, in der Umbau- und Ausbauphase der nationalsozialistischen Diktatur sowie in der Zeit des Kalten Krieges.

Dieses besondere städtebauliche Erbe gilt es nicht zu ignorieren, zu verbergen, zu verdrängen, sondern offensiv zu akzeptieren und erhaltend zu erneuern, ja zu einer der großen Erzählungen Berlins zu machen. Denn das größte Gebäude Deutschlands mit seinem riesigen Vorfeld spiegelt die harte Geschichte Berlins im 20. Jahrhundert wie kein anderer Ort wider – die Geschichte zweier Diktaturen, die sich am Thema Luftverkehr festmacht: Bau und Art der Nutzung in der NS-Zeit und die Luftbrücke als Antwort auf die Blockade nach dem Zweiten Weltkrieg. Berlins Geschichte von Weltrang ist vor allem die Geschichte des 20. Jahrhunderts, darin unterscheidet sie sich von anderen Metropolen Europas.

Der Flughafen Tempelhof hat jedoch noch nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhalten. Er darf auch nicht als isolierte und introvertierte Insel behandelt werden. Er erfordert eine ganzheitliche Sichtweise, die ihn als Teil einer luftfahrthistorischen und politischen Gesamtlandschaft mit vielfachen Bezügen zur umgebenden Stadt begreift.

Zuallererst muss sich Berlin aber der besonderen Bedeutung dieses Flughafens bewusst werden – besonders an dessen 100. Geburtstag im Jahr 2023!

Das städtebauliche Erbe ist mehr als bloß ein Zeugnis der Geschichte. Es ist immer auch ein Dokument unserer Zeit, Zeugnis der Art und Weise, wie wir damit umgehen, Spiegel unserer Erinnerungskultur. Das gilt auch und in besonderem Maße für das Erbe von Diktaturen. Als „unbequemes Erbe (dissonant heritage)“ ist es nicht nur von nationalem Interesse, sondern „Bestandteil der europäischen Geschichte und des europäischen Kulturerbes“ (BBSR). Der Flughafen Tempelhof vermittelt ein in dieser Dimension einzigartiges, dissonantes städtebauliches Erbe von internationalem Interesse und internationalem Rang – wie ganz Berlin überhaupt.

Autor: Dr. Harald Bodenschatz
Copyright Beitragsbild: Maurice Weiss/ Ostkreuz