Skip to main content
Heinz Jirout

Das THF-Denkmalkonzept

Von 28. Mai 2024Keine Kommentare
©Maurice Weiss/Ostkreuz

Heinz Jirout, Denkmalkoordinator bei der Tempelhof Projekt GmbH, berichtet über die Entwicklung eines Denkmalkonzepts für den Flughafen Tempelhof

Kannst du uns zunächst eine kurze Einführung in deine Rolle als Denkmalkoordinator am Flughafen Tempelhof geben?
Denkmalkoordination bedeutet, dass vom Kleinen bis ins Große alle Prozesse, die mit dem Denkmal zu tun haben, organisiert und strukturiert werden. Das fängt bei Alltagsentscheidungen zur Frage an, wie relevant sind Reparaturen, Erneuerungen oder sonstige Planungen für das Denkmal, und was muss man damit machen? Muss man das gemeinsam entscheiden? Muss man die Denkmalbehörden fragen? Wen sollte man einbinden? Dazu gehört dann auch, dass wir alle zwei bis vier Wochen mit den zuständigen Denkmalbehörden zusammenkommen, Dinge vorstellen und idealerweise auch dort direkt entscheiden und Freigaben bekommen, um diese Maßnahmen durchführen zu können. Am anderen Ende sind dann konzeptionelle Dinge wie die Denkmalwerkstatt oder auch Tools wie die Denkmaldatenbank, die auch zu meinem Aufgabenbereich gehört.

Was macht den Flughafen Tempelhof aus deiner Sicht zu einem so besonderen Industriedenkmal?
Tempelhof ist deswegen so ein besonderes Industriedenkmal, weil der Ort so vielschichtig in seiner Geschichte und so spannend in seinem Erhaltungszustand ist.
An vielen Stellen erzählt uns das Gebäude ganz unterschiedliche Geschichten aus verschiedenen Zeiten. Wir müssen lernen, hinzuschauen und hinzuhören und zu verstehen, was uns das Denkmal zu erzählen hat. Das beginnt mit der Bauzeit im Nationalsozialismus und geht weiter mit den Nutzungsszenarien während des Krieges und danach – denken wir etwa an die Luftbrücke. Mit Kriegsende wurde der Flughafen Tempelhof dann zu einem Luftwaffenstützpunkt der US Air Force, schließlich begann die zivile Nutzung. THF ist noch heute für viele Berliner:innen ein Symbol für Freiheit, es war der Zentralflughafen der Insel Westberlin.

Kannst du uns einen Überblick über die historische Bedeutung des Flughafens Tempelhof geben?
Die historische Bedeutung des Flughafens Tempelhof setzt sich aus dieser Vielzahl an Zeitschichten und der unterschiedlichen Nutzung aus verschiedenen Zeiten zusammen. So ist der Flughafen Tempelhof heute ein wichtiger Standort für Geflüchtete aus verschiedenen Ländern und Krisengebieten, die hier ankommen und hier eine erste Unterkunft finden. Er ist auch Standort für große Messen und Veranstaltungen. Für Autorennen, Popkonzerte und Stadtkultur. THF ist im Grunde genommen ein Spiegel der Moderne. Und natürlich ist der Flughafen Tempelhof auch das, was der Historiker Harald Bodenschatz als “dissonantes Erbe” bezeichnet: ein unbequemes Erbe, das uns immer wieder an unsere historische Verantwortung erinnert. Der NS-Propagandabau, der niemals fertig wurde, die vielen Zeitschichten rund um Krieg und Wiederaufrüstung des NS-Regimes, die Zwangs-und Sklavenarbeit, die auch hier Teil des Produktionsprozesses war. Die historische Bedeutung ist immens.

Das bringt mich zu der Frage nach dem Heute. Du hast gerade diese enorme Bandbreite an Bedeutungen und Zeitschichten beschreiben und auch die Schnittstellen zu unserer heutigen Welt: vom Ankunftsort für Geflüchtete hin zu Formel E-Rennen und anderen medienwirksamen Ereignissen. Was ist der Flughafen Tempelhof heute für Berlin und die Welt?
Ich finde es sehr spannend, diese Bedeutungsschichten und die historische Aufladung immer im Blick zu haben. Gleichzeitig darf man sich aber auch nicht davon abschrecken lassen: Unsere Aufgabe als Denkmalpfleger:innen ist es, in diesem riesigen Gehäuse Dinge zu ermöglichen, die unserer Gesellschaft Impulse für die Zukunft geben. Und dazu gehört auch das Aushalten von Widersprüchen: Kultur-und Kreatiwirtschaft sollen hier bedeutenden Platz haben, gleichzeitig auch eine Kultur des Bewahrens und Reparierens, der Nachhaltigkeit, dann soll THF auch noch ein neuartiger Energiebaustein für Berlin sein. Wir können alle diese Dinge hier modellhaft ermöglichen. Dabei ist wichtig, dass man sich nicht immer den ganzen schweren Rucksack der Bedeutungen aufsetzt, sondern auch eine gewisse Leichtigkeit kultiviert. Darf man heute in einem NS-Kulturerbe elektrische Rennautos im Kreis fahren lassen? Ich sage, ja, man darf das tun. Man sollte sich allerdings darüber im Klaren sein, wo man sich hier befindet und welche Nutzungsarten und Zeitschichten man damit in das Denkmal einschreibt.

Ich kann mir vorstellen, dass das Denkmalkonzept hierbei auch wichtige Leitplanken bieten kann. Wie gehst du bei der Entwicklung des Denkmalkonzepts vor?
Rein technisch betrachtet ist das Denkmalkonzept eine Verabredung zwischen den Behörden und den zukünftigen Nutzer:innen und deren Ansprüchen, unserem Bauherren und den Geldgeber:innen darüber, was in dem Haus alles möglich sein soll, und wie das in Abwägung mit allen relevanten Denkmal-Aspekten passieren kann. Dabei gibt es zwei ganz große Herausforderungen: Erstens, das Denkmal mit dem Feld zu verknüpfen. Hier geht es darum, das Denkmal für die Stadt zu öffnen, aber trotzdem noch die historische Flughafennutzung erkennbar zu erhalten. Und die Herausforderung dabei ist sicherlich, wie verknüpfe ich die Stadt und ihre Funktionen im Gebäude mit dem Feld? Wie mache ich das Gebäude dafür durchlässig, und mache trotzdem erkennbar, wie es ursprünglich mal geplant war und funktioniert hat? Die zweite Herausforderung spiegelt sich im Thema unserer nächsten Denkmalkonferenz, bei der es um Konstruktion, Reparatur und Ertüchtigung geht. Wie kann man so viel wie möglich vom Bestand erhalten, wie geht man mit Vorschriften, politischen Rahmenbedingungen und technischen Neuerungen um? Wie öffnet man den Ort für möglichst viele Nutzungsarten, ohne seine Identität zu untergraben? Und dann geht es eben nicht nur um Argumente rund um Denkmalschutz, sondern vor allem auch um Fragen nach einer nachhaltigen Nutzung. Wie sieht es etwa mit der Co2-Speicherung im Bestand aus? Ist es sinnvoll, auch wenn es nicht ganz den Regeln entspricht, bestimmte Strukturen und Details und Bauelemente zu erhalten, obwohl man sagen würde, nach heutigen Kriterien müsste man das erneuern? Genau in diesem Spannungsfeld liegt die Arbeit der Denkmalpflege und -koordination.

Sprechen wir einmal über das Thema Nachhaltigkeit. Wie integrierst du das Thema Nachhaltigkeit und die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks des Denkmals in das Denkmalkonzept?
Das ist natürlich etwas, was ich heutzutage an einem Denkmal sehr gut darstellen lässt.
Stellen wir uns vor: Wir haben da seit hundert Jahren eine Tür und möchten sie auch als Tür erhalten und für den Nutzen in der Gegenwart ertüchtigen. Auch wenn beispielsweise der Brandschutz sich eine ganz andere Art von Tür vorstellt. Es geht ständig darum zu schauen: Wie kann ich Elemente des Gebäudes so ertüchtigen, so verbessern oder so betrachten, dass sie eben heute auch funktionieren? Das betrifft dann auch Themen wie beispielsweise Statik, wo man an vielen Stellen mit modernen rechnerischen Methoden nicht immer zu nützlichen Ergebnissen kommt und dann Wege finden muss, dennoch eine Entscheidungsgrundlage zu finden. Das heißt, wir arbeiten auch kontinuierlich an Methoden für Materialtests und Monitoringverfahren, um nachweisen zu können, unter welchen Voraussetzungen Materialien und Konstruktionen auch heute noch gut funktionieren. Und dann geht es natürlich auch darum, zum Beispiel die Versorgungstechnik des Hauses auf sinnvolle Art und Weise auf den neuesten Stand zu bringen. Man kann eben nicht einfach so modernste Technik-Infrastruktur in ein historisches Gebäude wie den Flughafen Tempelhof einbauen. Da ist dann unser Motto: so wenig wie möglich und so viel wie nötig.

Lass uns noch über die Vision der Energiemaschine sprechen, die ist ja in den vergangenen Expert Meetings als eine Idee aufgekommen, die sehr viele Teilnehmende mobilisiert und geradezu begeistert hat – Diese Idee von Tempelhof als aktivem Energiebaustein für die Stadt Berlin. Was sind deine Gedanken dazu?
Da sind wir auf einem guten Weg. Die konzeptionelle Basis hierfür ist das Infrastrukturprojekt TI2030, in dem an vielen Stellen die Voraussetzungen geschaffen werden, um verschiedene Aspekte der Vision “Energiemaschine” umsetzen zu können. Das ist ja auch schon ein sehr dickes Brett, das wir da bohren, weil wir mit enormer Ingenieursleistung diese kilometerlangen Flächen so modernisieren müssen, dass all diese Dinge, die für aktive Energieerzeugung denkbar sind, auch möglich werden: Eine zentrale Stromversorgung, Medien, Wasser, Wärme. All das muss in einen Zustand gebracht werden, in dem sich das Gebäude selbst Richtung Klimaneutralität entwickeln kann. Dazu gehört beispielsweise auch eine entsprechend dimensionierte und für ein Denkmal sicherlich einmalige Photovoltaikanlage zu errichten, die wir dann für die Eigenversorgung nutzen können.

Welche privaten und öffentlichen Stakeholder sind an der Entwicklung des Denkmalkonzepts beteiligt?
Die wichtigsten Partner sind das Landesdenkmalamt und die unteren Denkmalbehörden, das Berliner Zentrum Industriekultur, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, und dann auch Partner:innen aus Dienstleistungsbüros, die Teilbereiche erarbeiten, wie zum Beispiel die Denkmaldatenbank und verschiedene einzelne und vorbereitende Untersuchungen und dann natürlich die Geldgeber:innen und unser Auftraggeber, das Land Berlin.
Hier ist kontinuierlich zu klären und zu verhandeln, was die Pflichten der Partner:innen sind, wofür sie sich engagieren, wo sie mit gestalten und was sie erwarten können. All das muss langfristig angelegt sein und die Vereinbarungen müssen auch eine bindende Wirkung entfalten. Gleichzeitig müssen bestimmte Verfahren auch in die Zukunft vorgedacht und in regelmäßigen Zeiträumen überprüft werden.

Und dieses Stakeholder-Management ist vermutlich die zentrale Rolle des Denkmal-Koordinators, oder? Dabei geht es ja auch um Formaten zur Einbeziehung und zur Sicherstellung der Zufriedenheit der einzelnen Stakeholder. Kannst du zusammenfassen, wie Du die Beteiligung und Zufriedenheit der Interessengruppen gewährleistet?
Einerseits wird jetzt gerade ein Prozess aufgestellt, in dem wir quasi eine Art Masterplan mit verschiedenen Themen entwickeln. Das Denkmalkonzept ist eines davon, aber genauso gut geht es da um Nachhaltigkeit, Infrastruktur oder logistische Fragen. In diesen Prozess sind alle internen Stellen eingebunden. Ein anderes Format ist die Denkmalwerkstatt, in der wir alle Stakeholder mit Expert:innen aus den Bereichen Denkmal-Großprojekte, Ingenieurtechnik, Architektur und anderen Fachdisziplinen zusammenbringen. Gemeinsam gestalten wir dann Forschungs-und Verdichtungsprozesse sowie die Entscheidungsfindung für Arbeitsthesen, Handlungsanleitungen und Vorgangsweisen. Und dann geht es natürlich ganz stark auch um den Aufbau eines sozialen Netzwerks rund um das Denkmal.

Es gibt ja noch eine Gruppe von Interessentinnen und Interessenten, die auch in den vergangenen Expert Meetings immer wieder angeklungen ist, und zwar die sogenannte Stadtgesellschaft. Welche Formate gibt es, um etwa mit Anwohner:innen oder Interessent:innen in den Dialog zu kommen in die weitere Entwicklung mit einzubeziehen?
Die THF-Geschichte der letzten sieben Jahre ist ja stark von Beteiligungsformaten geprägt, bei denen es in erster Linie um die Nutzungsvisionen der Stadtgesellschaft ging. Der THF-Beteiligungskompass bietet hier ein umfangreiches Navigationssystem für die Gestaltung aktueller und zukünftiger Formen von Beteiligung.
Interessanterweise kommt die Denkmalwerkstatt vom entgegengesetzten Ende her: THF wurde in den vergangenen Jahren fast ausschließlich aus dem Blickwinkel externer Interessen und Bedürfnisse heraus betrachtet. Wir hingegen denken im Dialog mit dem Gebäude, bzw. aus ihm heraus über seine Zukunft nach. Wir machen die verschiedenen Zeit-und Bedeutungsschichten greifbar und geben dem Denkmal dadurch eine Stimme.

Welche langfristigen Visionen hast du für den Flughafen Tempelhof?
Wie gesagt, die Denkmalwerkstatt beschäftigt sich weniger mit Nutzungsvisionen als mit fachtechnischen und historischen Themen, durch die wir als THF eben hindurch müssen, um kompetente Entscheidungen treffen zu können. Und da versucht die Denkmalwerkstatt mit internem und externem Sachverstand einen Wissensstand aufzubauen und Handlungen zu ermöglichen. Das Ziel ist, verschiedene Nutzungen zu ermöglichen, wie in der Vision 2030 + beschrieben: eine Mischung aus Verwaltungsstandort, Kultur- und Kreativwirtschaft, Museumsnutzungen und großen Veranstaltungs-Nutzungen.

Was ist die Besonderheit, in diesem Gebäude zu arbeiten?
Wenn ich von einem Termin irgendwo auf dem THF-Gelände zurückkomme und zum Feierabend zu meinem Fahrrad gehe, weiß ich oft nicht, wie das Wetter draußen ist. Unser Büro liegt tief im Gebäude unter einem Vordach, und da bekommt man keinen Eindruck vom Wetter. Manchmal regnet es, ohne dass ich es bemerke. Diese Situation zeigt gut, wie der Flughafen als eine Welt für sich gedacht war, in der man sich nicht mit der Stadt beschäftigen muss, sondern alles auf das Ankommen und das Abfliegen konzentriert ist.

Welche Botschaft möchtest du den Menschen vermitteln, die sich für den Erhalt und die Geschichte des Flughafens Tempelhof interessieren?
Ich würde mich freuen, wenn sich weiterhin viele Menschen mit dem Flughafen Tempelhof beschäftigen, sich für ihn interessieren und unsere Arbeit unterstützen. Wir haben etliche Lücken zu schließen, vor allem in der historischen Befassung. Zwar haben wir ein großes historisches Archiv, doch die Arbeit geht uns nie aus. Zum hundertjährigen Bestehen etwa haben wir einen Zeitzeugenaufruf gestartet, um von denjenigen, die vor vielen Jahrzehnten schon am Flughafen Tempelhof gearbeitet haben, zu lernen. Also, es gibt noch viel zu tun. Und man kann uns dabei helfen, zum Beispiel bei den kooperativen Entwicklungsprojekten wie dem Torhaus oder der Floating University.